• Schamrock Dichterinnen

Ruth Klüger

*1931, Ruth Klüger stammt aus einer Wiener jűdischen Familie.

Sie wurde mit ihrer Mutter deportiert, űberlebte mehrere KZs und wanderte 1947 nach den USA aus, wo sie Anglistik und Germanistik studierte und an mehreren Universitäten deutsche Sprache und Literatur unterrichtete. 

Sie ist vor allem bekannt durch ihre Autobiografie "weiter leben. Eine Jugend" (Gőttingen 1992), die auch vielfach űbersetzt wurde.  Des Weiteren veröffentlichte sie: "Frauen lesen anders. Essays","„Katastrophen. Űber deutsche Literatur", "Gemalte Fensterscheiben. Űber Lyrik", "Gelesene Wirklichkeit.  Fakten und Fiktionen in der Literatur", "unterwegs verloren.  Erinnerungen", "Was Frauen schreiben" u.a.m.

Sie hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter den Lessingpreis und das deutsche Bundesverdienstkreuz erster Klasse.

KINDERLIED

 

Himmel ist grűn und ein Wetterhahn blaut
Der sich im Morgenwind wiegt.
Auf der Milchstrasse lauft eine Kräuterfrau –
Alles was Flűgel hat fliegt.

Erde und Monde sind allesamt Kreisel,
Nicht nur die Sonne ist rund.
Dreht sich das Kircherl so tanzen die Häusel –
Alles was fliegt ist bunt.

Purpurne Pilze platzen im Stall
Wo das Ferkel der Spinne beichtet.
Quer durch die Felder rollt Reifen und Ball –
Alles was bunt ist leuchtet.

Alles was leuchtet hat Sinn. -
Willst du was lernen?
Kassiopeia, die Kőnigin
Ist auch nur ein Dreieck aus Sternen.

DEUTSCHE SPRACHE

 

In diesen Lauten, die ich zu verlernen
versuchte, weil die spitzen Konsonanten
das wunde Fleisch der Kinderjahre kannten,
 von deren Land durch Meere zu entfernen

mir auch gelang, um unter andern Sternen,
in einer andern Mundart die verbannten
noch zu begraben, die doch innen brannten,
so wie Metalle, die nicht Asche werden:

In diesen Lauten lőst sich nun die schmale,
die Kinderstimme, die klug-schlau das Leiden
 in Verse stűlpte, wie in eine Schale

und zeigt mir műhelos zum zweiten Male
in scharfen, unbiegsamen Zackigkeiten
den Trost der klaren, offenen Vokale.

IN WIEN

 

Es heißt:
Im Hause des Henkers
sprich nicht
vom Strick.
Ich weiß -
und sprech auf Schritten und Tritten
vom Henken.
Gegen die guten Sitten
verstößt das Gedenken.

Ich bin im Hause des Henkers geboren.
Naturgemäß kehr ich wieder.
In krummen Verstecken
such ich den Strick.
Mir blieb eine Faser davon im Genick.
Meine Hartnäckigkeit war mein Glück.

Doch der Strick ging verloren
und der Henker ist gestorben.
Auf dem Galgenplatz blüht jetzt der Flieder.