• Schamrock Dichterinnen

Ilma Rakusa

geboren 1946 in der Slowakei, aufgewachsen in Budapest, Ljubljana und Triest.
Studierte Slawistik und Romanistik in Zürich, Paris und St. Petersburg. Sie lebt als freie Autorin, Übersetzerin und Publizistin in Zürich.

Seit 1977 veröffentlicht sie Lyrik, Prosa, Dramolette und Essays, u. a. "Ein Strich durch alles. Neunzig Neunzeiler" und "Love after love. Acht Abgesänge", Suhrkamp Verlag 1997 und 2001.
Für ihre Erinnerungspassagen "Mehr Meer" im Literaturverlag Droschl erhielt sie 2009 den Schweizer Buchpreis.

Sie übersetzt aus dem Russischen, Serbokroatischen, Ungarischen und Französischen und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

www.ilmarakusa.info

In Terzinen zu dir
auf Seepferden Airplanes
Fregatten auf Engeln
Amoren verkappten
Submarines
zur dir auf Novemberwinden                           
sofort um den Sport
des Wartens dem Countdown 
zu entgehen 

für Joseph Brodsky

War das Sofa rot?
Der Koffer ja Überseekoffer
stand da wie ein Boot
bereit für Amerika. 
Fahne Koffer die Bücher 
im Lot. Das Weggehen 
so plötzlich aber Not 
und wie sich zeigte 
für immer. Jetzt bist du tot    

Auf drei Etagen schweigt mein Kleid
du lenkst den Hohn und frisst die Zeit
ich lese Exodus der Windberg lässt uns kalt
die Wanderlaken starren wie Basalt
im katatonen Haus entlässt der Mund
die Zunge und das Tischholz reibt sich wund
Voodoo herrscht oder Wahnsinn wo zuvor
wir alles füreinander waren: Ohr
Land Kehle   
In den Pausen zwischen den Bäumen: Schnee
in den Räumen zwischen den Worten: Schnee
in den Mulden zwischen den Häusern: Schnee
in den Gärten zwischen den Zäunen: Schnee
und kalt
in den Teichen zwischen den Kneipen: Schnee
in den Löchern zwischen den Eichen: Schnee
in den Träumen zwischen den Feldern: Schnee
in den Tellern und Falten: Schnee

Wenn

 

Wenn sie weniger würden

die Wüsten und Krieger
die Waffen und Begierden
die Seuchen und falschen Siege
die Eiferer und Perfiden
die Kloaken und Ruinen
die Hungernden und Vertriebenen
die Haltlosen und Frierenden
die Waisen und Prostituierten
die Blinden und Ramponierten
die Gifte und Deponien
die Ängste und Havarien
die Illusionen und Triebe
die Mörder und Diebe
die Betrüger und Schieber
die Einsamen und Entliebten

Wenn sie mehr würden

die Walfische und Delphine
die Kleinsprachen und Rentiere
die Eisdecken und Kinderspiele
die Gletscherzungen und Wildreviere
die Urwälder und Wiegenlieder
die guten Ernten und gesunden Nieren
die Wasserreserven und Prärien
die Aborigines und Couragierten
die Erfahrenen und Unversiegten
die Beherzten und Friedlichen
die Selbstlosen und Liebenden
die grenzenlosen Ärzte und heilen Familien
die Handwerker und Kosmopoliten
die Schutzengel und Riten
die Hoffnungen, unbeschnitten

Gedicht gegen die Angst

 

Streichle das Blatt
küsse den Hund
tröste das Holz
hüte den Mund
zähme den Kamm
reime die Lust
schmücke den Schlaf
plätte den Frust
neige das Glas
wiege das Buch
liebe die Luft
rette das Tuch
schaue das Meer
rieche das Gras
kränke kein Kind
iss keinen Frass
lerne im Traum
schreibe was ist
nähre den Tag
forme die Frist
lenke die Hand
eile und steh
zögere nicht
weile wie Schnee
öffne die Tür
lade wen ein
schenke dich hin
mache dich fein
prüfe dein Herz
geh übers Feld
ruhe dich aus
rühr an die Welt