Anna Breitenbach

guerrilla gardening

streuen wir wörter in die stadt!
setzen sie an erdigen stellen aus
versteckten ecken wo man sie nicht
sieht sofort abliest entfernt wo
sie sich eingraben können in aller
pflanzlichen heimlichkeit wurzeln
schlagen in urbaner ländlichkeit

da wachsen sie an da werden sie
etwas bleiben und flüstern in den
straßen - im fließenden und stock-
ken-den unablässigen verkehr der
lärmenden geschäftigkeit der laut-
starken gewichtigkeit von mensch
& maschinen: jeden tag noch mehr
weniger zeit die stehenbleibt

im städtischen raum in den ständig
strebsamen strom werden wir ganz
ohne amtliche erlaubnis ja völlig
unberechtigt eigenermächtigt
feinste widerstandspartikel einleiten
natürliche wirkstoffe in die werk-
und wochentage einarbeiten - von
den sonntagen ganz zu schweigen!
verführende aromen angreifend
landesweit verbreiten

von den grünen wegen werden sie
reden und schützenden gärten

von himmelhohen bäumen und
tiefen verschwiegenen wäldern
in denen man immer noch trotz
dichter besiedelung ausweisung
von weiterem baugrund und fort-
schreitender industrialisierung …
in denen man immer noch mal
verloren gehen kann

sie werden ihre blätter im stadtwind
leise reiben den süßen revolutionären
duft vertreiben und erzählen erzählen
vom untergrund auf dem jede stadt
s t e h t

schwerer sturz

auf meinem schreibtisch in
meinem schlafarbeitszimmer
sind ablagen zu erhöhungen
sind hügel berge hochgebirge
hochgewachsen zu T Ü R M E N
in erheblicher höhe haben sie
sich vor mir aufgetürmt:

aufschriebe schriftsachen
schreibwaren alle möglichen
unterlagen mit auflagen
anschreiben und abschreiben
einschreiben! freundliche
zahlungserinnerungen mit
unfreundlichen fristen
eingaben abgaben
vereinzelte kontoauszüge
einnahmen ausgaben
an- und überweisungen
to do-listen und -lasten
alte bis noch ältere ausdrucke
normal schnell in graustufen
kopien kopien drucksachen!
liebes- droh- und dramamails
mit höchster priorität - zu spät!
verblaßte verfaxte faxblätter
zeitungsausschnitte zitate
irgendwann notwendigste notate
unwiederbringliche handschriften
erste entwürfe letzte fassungen
entworfen und verworfen:
pläne zeichnungen visionen
in dreidimensionalen versionen
dokumentationen verlorener
illusionen …

vor gebrauch genau zu lesende
bedienungsanleitungen ebenso
noch ungelesene beipackzettel
mit haupt- und nebenwirkungen
lebensrettender medikamente
kochrezepte kiloschwindel-
leichte abnehmkonzepte
lesezeichen karteikartenleichen
bußgeldbescheide strafzettel
auslandskrankenscheine
pensionskassenbelege rente
nicht gezahlte alimente
bescheinigungen zeugnisse
unwiederbringliche dokumente
tot-tot-traurige testamente …

türme an türmen sich türmten
eine skyline vor dem horizont
der fensterfront! - eines tages
war die erde erbebend? hat
den turm links den linksaußen
nach vielen stabilen jahren
das gleichgewicht verlassen
und statt die übersicht ruhe
zu bewahren kam er ins
wanken wankte schwankte
und sankte mit einem seufzen
und wolken von staub in die
schlucht zwischen schreibtisch
und bücherregal – wo war ich?
lag ich im bett und hörte das
seufzen das schwere stöhnen
und wars mir egal?
wartete ich daß die wolke
der fallout sich legte wenn
ich mich nicht bewegte
stillsteif taubblind im bett?
stand ich auf? etwas später
und starrte erstaunt in den
abgrund wo sich nichts mehr
regte kein blatt sich bewegte

die seite die ich kaum kannte
vom linksaußen rechts die
seitenseite sah ich oben liegen
wie er paßte! paßgenau in die
schlucht sich eingepaßt hatte
wie gemacht für den platz!
wie ein keil war er zwischen
zwei wände getrieben - auch
in den nächsten tagen war es
um ihn ruhig geblieben und
blieb es da unten
bis in alle zeit (und ewigkeit)