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10 Jahre Schamrock-Salon der Dichterinnen____Monacensia | München 19. September 2019
Münchner Dichterinnen lesen Münchner Dichterinnen
Barbara Yurtdas - Carry Brachvogel

Foto Martin Richartz

*1937 in Leipzig, studierte Germanistik, Slawistik, Geschichte. Sie lebt in München, von 1981-1993 lebte sie in der Türkei. 

Sie schrieb Romane, literarische Reisebegleiter und Sachbücher zu Türkei-Themen. 

Lyrik: u.a. Wortklauberei, 2012; Todsichere Sache, Vom Leben mit dem Sterben, 2016. Sie übersetzt Lyrik und Prosa aus dem Türkischen.

Preise: Übersetzerpreis Tarabya, Hauptpreis für das Lebenswerk 2015; Shortlist Internationaler Übersetzerpreis, Haus der Kulturen der Welt 2012, für den Roman Allahs Töchter von Nedim Gürsel.

Barbara Yurtdas beim Schamrock-Festival der Dichterinnen 2018

Carry Brachvogel wurde als Cornelia Hellmann am 16. Juni 1864 als Tochter eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns in München geboren. Sie wuchs in einem liberalen, kulturell interessierten Elternhaus auf und heiratete 1887 den Journalisten Wolfgang Brachvogel, der 1892 durch einen Unfall verstarb. Obwohl Carry Brachvogel zwei Kinder zu versorgen hatte, blieb sie ledig und versuchte, als Schriftstellerin und Feuilletonistin Geld zu verdienen. Sie veröffentlichte zahlreiche Romane, Novellen und Biographien bedeutender Frauen wie z.B. über Madame de Pompadour. Parallel dazu engagierte sie sich in der bürgerlichen Frauenbewegung ("Verein für Fraueninteressen") und gründete den "Verein Münchner Schriftstellerinnen", der sich für angemessene Honorare für Autorinnen einsetzte. Carry Brachvogels Salon avancierte in den 20er Jahren zum kulturellen Zentrum der Stadt. Aber schon 1933 verlor sie den Vorsitz wie auch ihr Bruder Siegmund seine Stellung als Universitätsprofessor. Er zog daraufhin zu seiner Schwester nach Schwabing. Beide wurden gesellschaftlich vollständig ausgegrenzt. Im Sommer 1942 wurden sie ins KZ Theresienstadt transportiert, wo Carry Brachvogel am 20. November 1942 starb, ihr Bruder am 7. Dezember desselben Jahres.
Ausführliches Autorenporträt im Literaturportal Bayern.

⇒ Carry Brachvogel Nachlass in der Monacensia

MYZEL

Das wuchert
Unter dem Laub
Verfilzt sich
Verklebt
Graue Netze weiße Fäden
Wurzeln zusammen
Jederzeit können Pilze aufschießen
Wie Zeugen
Aus dem Vermoderten
Aus dem Toten
Unheimliches Leben
Die Sporen der alten
Taten der Väter
Verstrahlt ist der Boden
Vermoderte Kindheit
Zugewuchert
Unterwandert
Die Unschuld ist hin

Wenn sie in der Familie von Rudolf Römers Tod sprachen und sich wehmütig erinnerten, wie er, der verwöhnte, an die Stille und den feinen Reiz seiner Studierstube gewöhnte Mann, freiwillig alles aufgegeben hatte, um Kriegsdienst zu leisten, dann fragte Irene wohl mit dem hochmütigen Zucken um den Mund: „Kann das wirklich ein Kulturziel sein, dass ein Mann von Rudolfs Bedeutung alle vornehmen Gewohnheiten aufgibt, um sich unter Mannschaften zu mischen, um zu töten und getötet zu werden!"

FLUCHTGRUND

Was Fluchtgrund?
In die Haut gestempelt
Giftig rosa Wolke
Zuckerwatte
Die Lügenschweine
Regen brannte
Erst im Gesicht
Dann Feuer durch bis unters Kleid
In Fetzen mir vom Leib gerissen
Nackt. Die Schande
Wo Haare sind schon Sünde
Drei Tage haben wir geschrien
Noch länger brannte Haut
Am ganzen Körper Narben
Gestempelt ist mein Gesicht
Was heißt hier Fluchtgrund?
Ja, ich schreie

Wer das nicht kann verstehen

Der ist kein Mensch

Denn im Schwert liegt ein geheimer Zauber verborgen, der aufflammt, wenn es aus der Scheide springt, und alle Stimmen, die in der Menschenbrust liegen, müssen ihm antworten, die alltäglichen wie die nie gehörten. Aber wenn sich das Schwert wieder zur Scheide kehrt, verlischt sein Zauber, und die nie gehörten Stimmen verstummen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

aus Schwertzauber, 1917 (s. 97/126)