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Süddeutsche Zeitung, 23. Oktober 2018, Süddeutsche Zeitung

Klang in Bewegung
Experimente: Lynn Parkerson aus New York

Von Eva-Elisabeth Fischer
Zwischen damals und heute liegen 34 Jahre. 1984 hat sie München nach sieben Jahren verlassen und ist nach Hause, in die USA, zurückgekehrt. Dass sie jetzt nach all den Jahren, wenn schon nicht direkt nach München, sondern nach Feldafing gekommen ist, hat sie Augusta und Kalle Laar zu verdanken. Die künstlerische Leiterin des Schamrock-Festivals und der Klangkünstler, Freunde seit jenen Münchner Jahren, haben Lynn Parkersons zwölfwöchigen Aufenthalt als Künstlerin in Residenz in der Villa Waldberta eingefädelt, den sie außerordentlich genießt.

Sie hat in diesen wenigen Wochen ihr Deutsch aufgefrischt und freut sich auf ihren Auftritt mit den beiden Laars und der Posaunistin Abbie Conant, die erst am Tag selbst anreist. "Es ist reine Improvisation", sagt Parkerson über diese 40 Minuten zum Ende eines gewiss aufregenden Festivals dichtender Frauen. Man kann sich diese Begegnung mit den Musikern als ebenso spontanen wie spannenden Austausch von Klang und Bewegung vorstellen - mit einer Synthese vielleicht, in der die Klänge tanzen und die Tänzerin zum geschmeidigen Resonanzkörper mutiert.

Mit Abbie Conant verbinden Lynn Parkerson ähnliche, typisch weibliche Erfahrungen. Die Posaunistin, die 1980 nach einem Blindvorspiel als Soloposaunistin der Münchner Philharmoniker engagiert worden war, wurde kurze Zeit später von Maestro Sergiu Celibidache höchstselbst gefeuert - mit der Begründung, man brauche einen Mann für die Solo-Posaune. Lynn Parkerson verließ 1977 die Staaten, weil sie als klassische Tänzerin mit dem Ehrgeiz, eine eigene Kompanie zu leiten, keinen Fuß auf den Boden bekam. Sie hatte sich in New York mit der Tänzerin Birgitta Trommler angefreundet, welche nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 1976 das "Tanzprojekt München" gründete - eine Pionierleistung in einer Modern-Dance-Wüste. Diese erste freie Tanzkompanie mit angeschlossener Schule bot Parkerson die Chance, sich als Choreografin auszuprobieren: "Es gab nichts", sagt sie. Und gerade das empfand sie als ungeheure Freiheit. Gleichzeitig erfuhr sie die mentale Enge der Stadt zunehmend als Last. Sie erzählt von der Fremdenfeindlichkeit, die ihr sogar als Amerikanerin entgegenschlug und die sie letztlich zurück nach New York trieb.

Auch ein Mann und drei Kinder konnten sie nicht von ihrem Bestreben abbringen, dort endlich eine eigene Kompanie zu leiten. Sie realisierte das in einem Stadtteil, in dem Ballett schlichtweg nicht existent war - mit dem Brooklyn Ballet, das sie 2002 gründete als kleines Pendant zu Arthur Mitchells weltberühmtem, rein schwarzen Dance Theater of Harlem. Neunzig Prozent ihrer Tänzerinnen und Tänzer sind afroamerikanischer Herkunft, sagt sie, und das in einer ursprünglich rein weißen Kunst, deren Protagonisten und Protagonistinnen aus Angst vor Sonnenbräune nur geschützt ins Freie gehen. Der multikulturelle Ansatz der Kompanie mit angegliederter Schule gipfelt in ihrem Signetstück, dem "Brooklyn Nussknacker". Dieser lebt von der irisierenden Konfrontation zweier jeweils auf ihre Art virtuoser Tanzstile - der eine kodifiziert bei Hofe, der andere auf der Straße: Ballett und Hip-Hop.

Lynn Parkerson bringt längst schon mit Erfolg das Ballett auf Brooklyns Straßen. Und vermittelt ihren Schülern in einem Manifest zugleich den hehren Unterbau, gespeist aus ihrer eigenen katholischen Herkunft: Tanz ist für sie Religion, die, das Selbst verleugnend, ein menschliches Gefäß für das Feuer Gottes suche. Tanz schlechthin ist ihr das, was sie aus vollem Herzen bejaht: ein Gebet. Insofern ist für ihr Tanzsolo der Sonntagabend, 20.30 Uhr, perfekt.

 

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